Für eine schmale Mark
In einem Interview welches sich einfach so ergeben hat mit einem Vertriebler von Thonet fand ich sehr detailliert heraus wie die Stühle von Gil Sander (Eine eigene Interpretation eines Bauhaus Entwurfes von Marcel Breuer) sich zusammen stellten und Produziert wurden. Der Stuhl wirkt auf den ersten Blick wie ein Industrieprodukt – sauber verarbeitet, hochwertig produziert, formal klar. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Hier hat jemand nicht das Ganze gestaltet, sondern das Entscheidende. Die Handschrift von Jil Sander liegt nicht in der Form, sondern in der Auswahl. Titan statt Chrom, weil sie glänzendes Metall ablehnt. Champagnerfarbene Rohre direkt aus ihren Store-Konzepten. Ein Polster in Bentley-Lederfarben, eine Tischplatte aus Marmor, Gewebe aus Schmarotzer-Palmen, Eichenholz mit Spezial Lackierung – Wunschmaterialien, die nicht dekorieren, sondern definieren. Gefertigt wird das Ganze von Thonet – der Inbegriff für industrielle Stuhlfertigung seit dem Bauhaus. Es ist also kein Unikat, kein Atelierstück, sondern ein Serienprodukt mit gezieltem Eingriff. Diese Erfahrung offenbart eine Praxis, die sich durch das gesamte zeitgenössische Design im traditionellen Sinne zieht: Gestaltung durch präzise Setzungen. Ein Vergleich drängt sich auf: Erik Spiekermann bei der Schrift Fira Sans. Auch er hat nicht die ganze Schrift allein entworfen. Einige zentrale Buchstaben stammen von ihm – das charakterprägende „a“, das „g“, das „e“. Der Rest wurde von Kolleginnen und Kollegen nach seinen Vorgaben vervollständigt. Und dennoch: Es ist seine Schrift, weil seine Haltung spürbar bleibt. Sander wie Spiekermann stehen für ein Verständnis von Design, das sich zur Zeit durchsetzt: Der Designer ist kein alleiniger Autor mehr, sondern Kurator entscheidender Aspekte. Das Produkt ist Teamarbeit, aber die Idee ist eindeutig. In einer Welt, in der industrielle Prozesse komplex und arbeitsteilig geworden sind. Gute Gestaltung heißt nicht, alles selbst zu tun. Es heißt, so entschieden zu gestalten, dass die eigene Haltung im Ergebnis klar bleibt – auch wenn viele Hände mitgearbeitet haben. Design ist damit einen Schritt weiter weg vom Autorendesign gegangen.